„Wo sind unsere alten Lieder?“ dichtete Franz Josef Degenhardt. Man könnte auch fragen: Was sind unsere alten Lieder? Denn das Singen in deutscher Sprache ist nicht unproblematisch.
In dem jetzt erschienenen Liederbuch „pitters lieder“ (Spurbuchverlag) liegt eine große Liedersammlung vor. Anstatt betrübt zu räsonieren, hat pitter (Peter Rohland 1933 – 1966) Lieder neu entdeckt. Er hat dabei nicht nur einzelne Lieder einem erstaunten Publikum vorgesungen, sondern ganze Welten von Liedern, die bis dato nahezu unbekannt waren: jiddische Lieder, Lieder der Landstreicher; Lieder Deutscher Demokraten. Wer kannte diese Lieder vorher schon? Diese große Liedsammlung bringt alle (oder fast alle) Lieder, die pitter gesungen und auf Tonträger hinterlassen hat.
Sie sind nicht in der Reihenfolge der Darbietung angeordnet. Es ist aber reizvoll, den Spuren dieser „Entdeckungsreise“ zu folgen. Am Anfang sang pitter Lieder, die er von der Jugendbewegung her kannte, und die er mit dem Titel „Vertäut am Abendstern“ als Schallplatte herausbrachte („Die frühen Lieder“, ab Seite 191)
„Die jiddischen Lieder“ (ab Seite 87) waren seine erste große Entdeckung. Das zahlreiche Publikum wusste noch nicht einmal, dass es solche Lieder überhaupt gab. Wie zahlreiche Interpreten nach ihm, hätte pitter bei diesen Liedern bleiben können.
Aber er sah schon Neuland. Eigene Vertonungen waren angesagt: Was lag näher, als die Lieder des François Villon in der Nachübersetzung von Paul Zech, die durch Klaus Kinski damals sehr bekannt waren, zu vertonen? Zusammen mit Schobert und mir schuf er einen ganzen Liederzyklus, der in diesem Buch übrigens erstmalig in Noten aufgezeichnet vorliegt (ab Seite 55).
Wieder eine neue Entdeckung: Die Landstreicherballaden. (ab S. 16). Mit Schobert zusammen entstand damals eine erste kommerzielle Platte (von Philips). Dieses perfekte Team, pitter und Schobert, so hätte es weitergehen können. Statt „Schobert und Black“ „pitter und Schobert“.
Pitter fand aber in seiner ungeheuren Entdeckerfreude wieder neue Lieder: Die „Lieder Deutscher Demokraten“ (ab Seite139). Diese Lieder, gerade noch bei den beginnenden Studentenprotesten, waren ein unerwartetes und freudig aufgenommenes Geschenk für die Studentenbewegung der sechziger Jahre.
Pitter hatte für sein ganzes Schaffen nur knapp vier Jahre.
Bei der Thematik der Lieder lohnt ein Vergleich der Themen deutscher Liedermacher und der amerikanischen Folkszene. In letzterer gibt es Lieder über Heimat und Familie, über die Arbeit, über (wahre) Abenteuer, über große Armut, und es gibt viele Balladen. Alles Themen, die man in der deutschen Liedermacher-Szene mehr oder weniger vermisst. Bei pitter sind diese Themen alle vorhanden:
- Familie: „un as di jontefdike Tejg“,
- Arbeit: „bin ich mir ein Schnajderl“, „Solange wie die Kesselflickerei noch lebt“,
- große Armut: „Fordre niemand mein Schicksal zu hören“, „Luise“.
- Zahlreiche Balladen: von „Herr Glomme“ bis zu den Landstreicherballaden und den Balladen der jiddischen Lieder.
Pitter war kein „Liedermacher“ im engeren Sinn. Er war aber ein „Pionier des neuen deutschen Chansons“ wie die FAZ schrieb.
Pioniere werden schnell vergessen. Wer ein Lied über „Schmuddelkinder“ oder „grenzenlose Freiheit über den Wolken“ schreibt, bleibt eher im kollektiven Gedächtnis. Daher ist es ein Verdienst dieses Buches, gleichzeitig mit der Liedersammlung eine einzigartige Hommage für Peter Rohland gemacht zu haben. Ausführliche Texte und Bilder machen das Buch geradezu zu einer Biografie.
Dieses Buch konnte entstehen, weil pitter auch fast fünfzig Jahre nach seinem Tod noch einen großen Fan-Kreis hat, der sich in der Peter Rohland Stiftung eine Basis geschaffen hat.
Der Herausgeber Helmut König hatte früher schon pitters Lieder in zahlreichen Schallplatten und CDs zugänglich gemacht (zu bestellen bei Bella Musica, Tel.: 07223-8083560). Unterstützt wurde er bei diesem Projekt von seiner Frau Helga, Hai Frankl, Goly Münchrath, dem Stiftungsrat und von mir.
Ein solches Projekt braucht auch einen Verlag. Der Spurbuchverlag hat dieses Buch in großartiger Weise möglich gemacht. Dem Buch beigefügt ist eine DVD, auf der man sich alle Lieder, von pitter gesungen, anhören kann. Das Ganze zu dem angemessenen Preis von 29,80 €.
Hanno Botsch
pitters lieder. Die Lieder von Peter Rohland, im Auftrag der Peter Rohland Stiftung herausgegeben von Helmut König unter Mitarbeit von Hanno Botsch, Hai Frankl und Helga König, Baunach (Spurbuchverlag) 2014, 246 Seiten und 1 DVD, ISBN 978-3-88778-407-2.
(aus: KÖPFCHEN 2+3/2015, Seite 11f)