Skomorochi-Fest auf dem Kochshof
Es war die schöne Idee von plauder, die Übergabe der Bassbalalaika durch die Peter Rohland Stiftung vom Zugvogel an den BdP-Stamm Pilgrim Falkoni, Neuwied, wo sie ein neues Zuhause auf Zeit finden soll*, im Rahmen eines eigens dafür anberaumten russischen Skomorochi-Festes** zu vollziehen. Ein geeigneter Termin, der 6. November 2010, war schnell gefunden. Als, wie sich herausstellen sollte, idealer Festplatz kam nur der Kochshof in Frage.
Bestens eingestimmt durch plauders inspirierende Einladung machten wir uns (d.h. ein großer Teil des PR-Stiftungsrats: Gisela, molo, Josef, dex und ich, der Rest war leider verhindert) auf den Weg, den letzten Teil, wie sich das gehört, zu Fuß, gespannt, was uns gleich erwarten würde.
Wir müssen gestehen, dass wir vom Kochshof zwar viel Rühmliches gehört, ihn aber – mit Ausnahme von Josef – nie persönlich erlebt hatten. Noch unterwegs lesen wir auf einer Hinweistafel vom „Bergischen Dreiklang“ aus schwarzen Balken, weiß gekalkten Gefachen und grünen Schlagläden, den ein typischer Bergischer Hof aus Fachwerkhäusern wie den Kochshof auszeichnet.
Und dann blicken wir auch schon hinab auf die mächtige Hofanlage, wo am Eingang in Stein gemeißelt steht:
Kochshof erbaut um 1149
seit 1987 Bundessitz des Zugvogel Dt. Fahrtenbund
Kaum angekommen erhalten wir eine persönliche Führung von pit mit einem packenden Bericht über die lange Geschichte des Hofs von seinen Anfängen als Lehenshof, seinem schenkweisen Übergang 1327 an die nahe Zisterzienser Abtei Berge, seinem Rückfall an die Landesherrn im Zuge der Napoleonischen Kriege zu Beginn des 19. Jahrhunderts bis hin zu den dramatischen Jahren 1985-87, als es dem Zugvogel mit Unterstützung der Bevölkerung und der Gemeinde Odenthal gelang, die mittlerweile schon hinfälligen Baulichkeiten vor dem Abbruch zu retten, sie mit Hilfe des rasch gegründeten Vereins zum Erhalt und Betrieb des Denkmals Kochshof vom Land NRW zu erwerben und in zwanzigjähriger eigener harter Arbeit der Bauhütte des Zugvogel von Grund auf zu sanieren und wiederherzustellen. Was das bedeutete und welches Maß an Energie, Durchhaltevermögen und handwerklichem Geschick notwendig war, konnten wir an den neu erstandenen Baulichkeiten und pits Erläuterungen dazu erkennen:
Da ist das wunderbare alte Backhaus, „Bakkes“ genannt, der erste Bauabschnitt der Bauhütte, das wieder voll funktionsfähig ist und in dem mindestens einmal im Jahr zum großen Patentreffen wieder Brot gebacken wird; die stattliche Remise, in der die Werkstätten und die Kanzlei des Zugvogel untergebracht sind und das Haupthaus mit der Residenz des Hofvogts, der Chronistenstube, der Bibliothek und, pits besonderer Stolz, dem Archiv.
Auf Schritt und Tritt wird deutlich: Hier waren Profis am Werk. Hunderttausend Arbeitsstunden Eigenleistung hat man errechnet. Da fallen uns unsere vergleichsweise bescheidenen Bemühungen um den Umbau des Schwabenhauses auf der Waldeck in den fünfziger Jahren wieder ein, wo Profis später unsere teilweise sehr unzureichenden „Handstreiche“ überarbeiten, sprich „rückbauen“ mussten.
Dann stoßen wir zum Herzstück des Kochshofs vor, dem alten Stall- und Scheunengebäude. Inzwischen ist es dunkel geworden. Vom Rittersaal kommend schauen wir von der Empore hinab in den riesigen Sängersaal, dem über achthundert Jahre alten Bruchsteinteil des ehemaligen Stalles. Der große offene Kamin ist bereits angezündet, der Raum mit langen Tischen festlich beleuchtet, von der hohen Decke, die bis hinauf zu den freigelegten Dachsparren reicht, hängt ein riesiger eiserner Radleuchter herab, dessen Entstehung dem Genius von fotler zugeschrieben wird. An den Wänden sind in das Thema des Abends einstimmende Photographien von russischen Szenen mit den Protagonisten des Abends: hexe, fotler und plauder aufgehängt.
Das Stimmengewirr von unten aus dem Saal nimmt deutlich zu. Es sind generationsübergreifend, von gero mit 85 Jahren bis zu den Pfadi-Kids aus Neuwied, an die hundert Gäste versammelt vom Zugvogel, von der Freischar, darunter die Bergische Klingel, und natürlich ein großer bunter Haufen vom BdP Neuwied, die sich heute Abend die Bassbalalaika abholen wollen. Einige Gäste sind einschlägig kostümiert. Auffallend fotler als Operetten-Rotarmist. Wir steigen hinab. Das Fest kann beginnen.
Mit leichter Hand moderiert plauder den Abend. Es gibt köstlichen Borschtsch aus der Küche von hexe, weitere russische Spezialitäten vom Buffet und gegen eigens hergestellte Rubel-Noten (in kleinen Medaillons auf den Scheinen erkennt man das Konterfei von pitter, plauder oder anderen Sängerpersönlichkeiten) erhält man reichlich Getränke.
Es beginnt ein buntes Programm von teils improvisierten szenischen Lesungen, Sketchen, Liedern und Tanzeinlagen aus allen Gruppen. Die Neuwieder Kids überraschen mit einem a cappella gesungenen russischen Lied aus ihrem Waldorfschule-Repertoire und gewinnen der Bassbalalaika bereits beachtliche Tonfolgen ab. molo gibt einen Rückblick auf die bisherigen Stationen der Bassbalalaika auf ihrer wundersamen Reise.***
Dann folgt der Höhepunkt des offiziellen Teils des Abends: Die Bassbalalaika wird aus der Hand des Zugvogel feierlich an den BdP-Stamm Pilgrim Falkoni Neuwied übergeben. Die Peter Rohland Stiftung wünscht einen kreativen Umgang und viel Spaß mit dem Instrument. Und damit beginnt der inoffizielle Teil des Abends.
Unter dem großen Radleuchter vor dem Kamin des Sängersaals formiert sich ein im Laufe des Abends bereits wunderbar eingesungener Chor mit allen verfügbaren Instrumenten. Es beginnt eine große musikalische Reise durch das weite Russland. Auf ihrer Baikalgroßfahrt im Sommer 2010 hatte der Zugvogel mit fotler gerade wieder Gelegenheit, „Russische Seele“ aufzutanken. Die Stimmen werden von Lied zu Lied intensiver, der Gesang dichter und homogener, das Haus, der Saal bis unter das hohe Dach schwingen mit. Wir kennen die oft prämierten Stimmen des Zugvogel, der Freischar und neuerdings auch des BdP Neuwied vom Singewettstreit auf der Waldeck und von vielen anderen Gelegenheiten. Die Musik und der Gesang, den wir an diesem Abend bis in den frühen Morgen hinein gehört haben, war aber von einer anderen Dimension, er klingt bis heute in uns nach.
So, das musste noch gesagt werden. Der Zugvogel kann eben nicht nur bauen, er kann auch feiern.
Wir danken dem Dreigestirn hexe, fotler und plauder und allen anderen, die das Fest möglich gemacht haben, für den so gelungenen Abend auf dem Kochshof und pit für seine engagierte Führung und wünschen der ganzen Zugvogelfamilie noch viele glückliche Jahre auf dem wunderschönen Anwesen. Es versteht sich von selbst, dass ich nach so einem Abend eine Patenschaft für den Kochshof übernehme und alle anderen, die dies noch nicht getan haben, herzlich dazu einlade.
mike
* Die Peter Rohland Stiftung stellt interessierten Gruppen pitters Bassbalalaika auf Zeit leihweise zum Spiel zur Verfügung.
** Die Skomorochi, so die Beschreibung in der Festeinladung von plauder, waren eine Art Gaukler, die den Zaren, die russische Kirche und die Gesellschaft aufs Korn nahmen. Musikalisch untermalt wurden die Narreteien oft mit Balalaikamusik. Aus diesem Grund wurde das Balalaikaspiel wiederholt in Russland verboten.
***Aus dem Kreis der Zuhörer meldet sich Helga Stoverock mit dem Hinweis zu Wort, dass pitters Bassbalalaika eigentlich einer Berliner dj-Gruppe gehörte, in der in den späten fünfziger Jahren auch pitter verkehrte. Eine Nachfrage bei takko (Horst Henschel) und williams (Wolfgang Stoverock, Helgas Vater) in Berlin (beide dj-Mitglieder) ergab, dass ein zeitweiliger dj-Angehöriger Ali Lößner (wer kennt ihn?) das Instrument in Ost-Berlin „besorgt“und nach Verlassen der Gruppe dort zurückgelassen hatte, wo sie dann mangels Verwendung offenbar in die Hände von pitter gekommen sein muss. So bleibt der Ausgangspunkt der wundersamen Reise der Balalaika nach wie vor im Dunkeln.
(aus: KÖPFCHEN 1/2011, Seite 26ff.)