In der Zeit vom 16.09.2011 bis zum 14.10.2011 wurde die von der Peter Rohland Stiftung erstellte Ausstellung zu Peter Rohlands Leben und Werk unter dem Titel „Peter Rohland und das politische Lied“ im Willy-Brandt-Haus in Berlin gezeigt. Organisatoren waren der Freundeskreis Willy-Brandt-Haus e.V. und die Peter Rohland Stiftung.
Bei der Eröffnung dieser Ausstellung am 15.09.2011 im Willy-Brandt-Haus hat Prof. Dr. Böning, Universität Bremen, eine Rede zu dem Thema „Peter Rohland, die Waldeck-Festivals und das politische Lied der Revolution von 1848“ gehalten.
Prof. Dr. Böning ist Autor der Untersuchung Der Traum einer Sache. Aufstieg und Fall der Utopien im politischen Lied der Bundesrepublik und der DDR. Darin würdigt er das Wirken Peter Rohlands für die Entwicklung des Liedes im Deutschland der 1960er Jahre. Er ist Professor für Neuere Deutsche Literatur und Geschichte der Presse an der Universität Bremen.
Auszüge aus dieser Rede (Die vollständige Fassung der Rede kann als pdf-Datei von dieser Internetseite unter dem Menüpunkt „Informationen und Produkte“ herunter geladen werden):
„Meine sehr verehrten Damen und Herren, am 27. Mai 1965 kam es im Hunsrück – auf Burg Waldeck, einem der Haupttreffpunkte der bündischen Jugend – zu einem denkwürdigen Konzert. Ein junger Sänger – Peter Rohland – stimmte Lieder an, die man in Deutschland seit Jahrzehnten, manche seit mehr als einem Jahrhundert nicht mehr gehört hatte: Gesänge des Vormärz und der Revolution von 1848. Und er sang sie mit einer solchen Freude und einer solchen Lebendigkeit, dass man meinen konnte, diese Lieder seien für die Gegenwart gemacht. Peter Rohland, 1933 geboren, mußte als Kind den Krieg erleben, entwickelte starke zeitgeschichtlich-politische Interessen, wurde – wie die Mutter – zunächst Wandervogel, später Jungenschaftler in der Schwäbischen Jungenschaft, und – wie der Vater, ein ausgebildeter Opernsänger – Musikenthusiast. Singen ist das Fundament zur Musik in allen Dingen“, so lernte er bereits im Elternhaus, gemeinschaftlichen Gesang erlebte er in der bündischen Jugend. Fahrten nach Frankreich, Italien, Griechenland und in den Orient führten aus dem engen Deutschland bis in den Irak, wo den Liedersammler und -sänger fremde Kulturen anregten. 1954 begann er ein Jurastudium, sammelte für den öffentlichen Vortrag Lieder der Schiffer und Fuhrleute, der Landstreicher und Vaganten, vertonte Villon-Gedichte, brach das ungeliebte Jurastudium ab – er könne nicht vom Streit anderer Leute leben – und studierte ab 1956 in Berlin Musikwissenschaft und Musikethnologie. In den nächsten Jahren wurde er zum regelrechten Liedforscher, der seine Entdeckungen sogleich auch vortrug, setzte sich mit jiddischen Liedern, diesen Zeugnissen einer fast vernichteten Kultur, auseinander und begründete hier Traditionen, die in der Folge von vielen Folkgruppen aufgenommen wurden.
Es begannen Peter Rohland auch die Lieder der bürgerlichen Revolution in Deutschland zu faszinieren, und er entdeckte, dass jedes Lied brandaktuell war. Mit soviel Bitterkeit wie Spott, mit Ironie und Wut wurde der deutsche Obrigkeitsstaat beschrieben, jenes deutsche Wesen, das in einer immer und überall brauch baren Untertanengesinnung seine Vollendung fand. Und so sang Peter Rohland mit den Worten Georg Herweghs:
Du sollst verdammte Freiheit mir, die Ruhe fürder nicht gefährden!
Lisette, noch ein Gläschen Bier! Ich will ein guter Bürger werden.
Natürlich ging es in diesen Liedern nicht allein um Spott. In ihnen war vor allem der Traum von einem Gemeinwesen lebendig, in dem Menschen frei und gleich – geschwisterlich – zusammenlebten. (….)
In den fünfziger Jahren konnte man – auch durch Peter Rohlands Einfluß – auf der Waldeck nicht nur Negrospirituals, Railroadsongs, Rembetika, Skifflemusik, jiddische Balladen, südamerikanische und afrikanische Musik oder die ersten Lieder von Mikis Theodorakis hören, sondern ebenso auch gesungene Verse Bertolt Brechts, Frank Wedekinds und Kurt Tucholskys.
Es ist so kein Zufall, dass junge Mitglieder der Studentischen Arbeitsgemeinschaft – unter ihnen Peter Rohland – auf der Burg eine Veranstaltung initiierten, die den Liedern aus aller Welt und dem deutschsprachigen Lied gleichermaßen gewidmet sein sollte, die legendären Festivals auf der Burg Waldeck, das erste deutsche Open-Air-Festival. Das Chanson vermisste man in Deutschland, ihm maß man, da es seine Zuhörer ernst nimmt, demokratische Qualität zu. Chansons, so hieß es 1964 in der Eröffnungsrede von Diethart Kerbs, seien „Anrede an den Einzelnen, sie brauchen den Hörer und lassen ihn gelten.“ (….)
Was 1964 während des ersten Festivals auf der Burg Waldeck zu hören war, bestärkte Peter Rohland zusätzlich, nach historischen politischen Liedern der deutschen Freiheitsbewegungen zu forschen. Er ließ sich dabei vermutlich auch durch Wolfgang Steinitz anregen, den großen deutsch-jüdischen Liedersammler, doch durchforstete er vor allem selbständig alte Liederdrucke, vertonte politische Gedichte und schuf so ganz neue Lieder oder er ging nach Freiburg in das Deutsche Volksliedarchiv. Walter Mossmann traf ihn dort 1964 und erinnert sich, wie Rohland Feuer und Flamme war, all die vergessenen Vormärzdichter wie Adolf Glasbrenner, Hoffmann von Fallersleben oder Franz Dingelstedt wieder lebendig werden zu lassen und die Flugblattlieder vom Staub der Archive zu befreien.
In einem Brief an eines dieser von ihm besuchten Archive schreibt Rohland über seine Motive: „Ich glaube, nur über das Besondere, Unbekannte, kann man das deutsche Vollkslied bei der Jugend wieder interessant machen.“ „Volkslieder“, so erläutert er, „haben – einfach ausgedrückt – etwas mit dem Leben zu tun. Sie sagen darüber etwas aus. Ich glaube, es ist an der Zeit, den Nebel auseinander zu blasen, mit dem die Romantiker und die völkischen Ideologen unsere Volkslieder umgeben haben.“ Auch die Lieder der Deserteure, die von 1848 oder 1918, jene der Hungeraufstände und der Arbeiterkämpfe, ebenso auch die Gesänge aus den Konzentrationslagern seien mit dem Begriff „Deutsches Volkslied‘ zu verbinden: Wir müssen diesen Begriff endlich berichtigen. ‚Deutsche Volkslieder‘ haben weder mit ‚Volksseele‘ noch mit ‚ewigen Werten‘ etwas zu tun. Es sind einfach Lieder, die den ganzen Aspekt menschlichen Lebens umfassen, von der äußersten Sentimentalität bis zur harten oder derben Darstellung.“
1965 sang Peter Rohland dann diese von ihm wiederentdeckten, wie er sie nannte: „unverjährten Lieder“ auf dem zweiten Waldeck-Festival genau zu einer Zeit, da sich – wie in jenen historischen Jahren des Vormärzes – massive gesellschaftliche Eruptionen ankündigten. Auch bei den Bündischen begannen die Geister sich zu scheiden, viele gingen den Weg mit in Richtung 1968.
Glücklicherweise hat man dieses historische Konzert – wie damals üblich ein diskutierender Workshop – aufgezeichnet. Jeder, der den getragenen Ton des volltönenden Baßbaritons der Schallplatten kennt, wird beeindruckt sein ob des engagiert-lebendigen Vortrags des Sängers, von dem Sie eingangs durch das von Peter Rohland gesungene „Trotz alledem“ aus diesem workshop einen Eindruck erhalten haben.
Es vermittelt sich genau die Aktualität und Frische jener Texte, in denen Rohland als Liedforscher begeistert die wahrhaft „demokratische Tradition“ entdeckte, auf welche, wie er argumentierte, „sich unser Staat berufen müßte“ – eine damals kontrovers diskutierte These – populär gemacht Jahre später dann durch Gustav Heinemann. Einen Monat nach seinem Waldeck-Auftritt war Peter Rohland dann der erste politische Sänger, der im Theatersaal der FU Berlin auftrat und eine Debatte provozierte.
Beim Hören der Lieder ist man besonders berührt von den Texten aus dem Frühling des Jahres 1848: Wieviel Hoffnung und freudige Erwartung spricht aus ihnen:
„Die Völker wollen Brüder sein,
gleichviel wo sie geboren;
sie wollen keinem Thronverein
Sich als Kanonenfutter weih’n.
Das haben sie geschworen!“
Peter Rohland identifiziert sich mit der Gesellschaftskritik der von ihm vorgetragenen Lieder: „Ein Deutschland“, so formulierte er, „welches nicht auf den Schlachtfeldern Frankreichs unter preußischen Vorzeichen, sondern kraft einer Revolution von Volksvertretern geschaffen worden wäre, hätte eine andere Ausprägung gewonnen.“
Auch machte er in seinen Erläuterungen auf das Neue der politischen Dichtung um 1848 aufmerksam, dass sich nämlich nun in die vaterländisch-kämpferischen Töne der Arndt und Körner kräftig die der Satire und Ironie mischten. Heines bissige Zeitgedichte nennt er, Chamissos Tragische Geschichte „von einem, dems zu Herzen ging, daß ihm der Zopf so hinten hing“, dann aber vor allem die vielen Lieder, in denen sich unbotmäiger Ton mit befreiendem Spott auf höfischen Geist und devote Unterordnung mischt, die Ballade vom guten, stammelnden Untertan beispielsweise oder auch jene Hymne der Alt-48er.
Gewiß, man tobt sich einmal aus –
Es wär‘ ja um die Jugend schade –
Doch, führt man erst sein eigen Haus,
So werden Fünfe plötzlich grade.
In welcher Mühle man uns mahlt,
Das macht uns nimmer viel Beschwerden;
Der ist mein Herr, der mich bezahlt – ,
Ich will ein guter Bürger werden.
Solche Lieder in deutscher Sprache hatte das Publikum zuvor noch nie gehört. (….)
Ich schließe deshalb mit der Aufforderung, die Peter Rohland 1965 an seine Zuhörer richtete: “ So sehr man sich vor voreiligen Kausalitätsketten hüten sollte, möchte ich Sie bitten, diese Lieder nicht nur unter dem historischen Gesichtspunkt zu betrachten“.