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Helmut König: Wer war Peter Rohland?

Immer wieder hören wir, sei es bei Liedern, bei bündischen Schallplatten, auf der Waldeck oder auf dem Ludwigstein, von Peter Rohland. Wer aber war er?

Pitter, wie ihn seine Freunde nannten, kam aus der Schwäbischen Jungenschaft in Göppingen. Pimpf, Hortenführer, früh lernte er, die Klampfe zu spielen – eine ganz „normale“ Entwicklung in „unseren“ Kreisen in den fünfziger Jahren. 1933 geboren, wuchs er gewissermaßen gerade zur richtigen Zeit hinein in das Wiederaufleben der Jungenschaften in der Bundesrepublik nach dem Kriege. Früh fiel aber auf, dass er eine ihm von der Natur geschenkte ausgeprägte und tragende schöne Stimme hatte, die ihn dazu brachte, in den Hortengesängen nicht nur mitzusingen, sondern auch Lieder vorzutragen. Man hörte ihm gern zu. Aber das war noch nichts Besonderes, das gibt es öfter unter Bündischen.

Die Fahrten brachten ihn auch mit fremden musikalischen Welten in Kontakt. Vor allem die griechischen Lieder mit ihren fremden Rhythmen zogen ihn in ihren Bann. Er nahm sie auf und brachte sie mitreißend „unters Volk“, in die Gruppen und Horten. Und so wurde er einer der Väter der „griechischen Welle“ im Gesang der Bündischen der 50er Jahre.

Man hörte ihm aber auch sonst zu. Er hatte ein natürliches Charisma, das viele in seinen Bann zwang. Bald war die Schwäbische Jungenschaft ohne ihn nicht mehr zu denken. Dazu kam die Begegnung mit der Waldeck, diesem merkwürdigen, fast mythischen Ort im Hunsrück, legendärer Ort der frühen Nerother, den Werner Helwig so einprägsam beschrieben hat, auch in den fünfziger Jahren trotz mancher Querelen ein Ort des Singens und der Begegnung. Die Schwaben fühlten sich dort bald wie zuhause, bauten ein eigenes Haus, das „Schwabenhaus“.

Pitter fing in Berlin ein Jurastudium an, darin seinem Vater folgend, der Opernsänger hatte werden wollen, aber, die Brotlosigkeit dieses Berufes für sich erkennend, Rechtsanwalt geworden war. Berlin musste es sein, weil Berlin damals die aufregendste Stadt der Bundesrepublik war. Die Studenten wurden aufmüpfig gegen alle Staatsreglements, und Folklore- und Protest-Sänger aus aller Welt trafen sich vor allem dort in den Kneipen. Zuvor aber hatte Pitter mit seinem Freund Fred Kottek noch eine große Trampfahrt in den Orient unternommen – sie kamen bis Kuweit.

Pitter war in Berlin aber weniger in den Hörsälen und Seminaren zu finden, sondern mehr unter seinen studentischen Freunden, die zumeist aus den Bünden kamen. Bald bildete sich auf der Waldeck ein studentischer Arbeitskreis, der über das engemjugendbewegte Denken hinausstrebte und sich in die gesellschaftlichen Diskussionen der ausgehenden Restaurationszeit des Nachkriegs kritisch einschaltete.


Früh hatte Pitter, der Erzmusikant unter ihnen, begriffen, dass Lieder nicht nur so einfach da sind, sondern dass jedes gute Lied einen Hintergrund hat, einen menschlichen, einen sozialen oder einen politischen Hintergrund, und dass dieser Hintergrund durchscheinen muss, wenn man singt. So kam es, dass Pitter früh anfing, mit seinen Liedern auch Stellung zu beziehen. Er fing an, Liedforschung zu betreiben. Ihn interessierten besonders die Lieder der Ausgegrenzten, der Landstreicher und Landstörzer, die er bereits auf seiner großen Orientfahrt kennen gelernt hatte, die er nun bewusst suchte, aufzeichnete und die er dort, wo er nur Texte fand (z.B. in Ostwalds „Lieder aus dem Rinnstein“), in passende Melodien setzte. Damit kamen ihm auch die Lieder des frühen Dichters der Ausgegrenzten, Francois Villon, nahe, dessen deutsche Nachdichtungen von Paul Zech er kongenial vertonte. Ganz besonders aber berührten ihn die Lieder der Juden, deren grauenhaftes Schicksal unter den Nazis in jenen Jahren erst nach und nach in seinem vollem Umfang bekannt wurde. Hier waren es nicht nur ausgegrenzte Menschen, sondern ein ganzes Volk, seine Kultur und damit auch seine Lieder waren so gut wie ausgerottet worden. Pitter lernte in Berlin einige dieser Lieder kennen, erkannte bald, dass es mit einem bloßen Nachsingen hier nicht getan war, und begann nun, die jiddische Sprache intensiv zu lernen und nach den verlorenen und vergessenen Liedern der geschundenen Juden zu suchen. Diese Lieder wollten vorgetragen werden. Mit seinen Freunden Gesine Köhler und Hanno Botsch bildete er eine Gruppe, die in Konzerten auftreten konnte. Seine Landstreicherballaden sang er zusammen mit dem Concertina-Spieler Schobert Schulz, der später im Duo Schobert und Black bekannt wurde. Allein trug er die „Lieder deutscher Demokraten“ vor, die er aus Archiven und wissenschaftlichen Publikationen ausgegraben und zu neuem Leben erweckt hatte.

Es traf sich gut, dass sich in diesen Jahren um 1960 herum überall und vor allem in studentischen Kreisen um die überall neu auftauchenden Folk-Sänger und „Liedermacher“ (der Ausdruck entstand in dieser Zeit) Auditorien bildeten. Folklorekneipen und andere Treffpunkte entstanden, in so genannten Kleinkunsttheatern wurde gesungen. Die heute wohlbekannten Franz Josef Degenhardt, Reinhard Mey, Hannes Wader und viele andere hatten hier ihr erstes Auditorium. Die Polit- und Protestsänger traten auf. Und ebenso wurde natürlich auf der Waldeck gesungen, wo die Sangeskunst der Vaganten und die Folklore fremder Völker immer schon eine Heimstatt hatten. Überall in diesen Auditorien war Peter Rohland zu Hause, und seine Stimme, die sich inzwischen geschult hatte, war unter den vielen Sängern nicht zu überhören, sie war bei weitem die musikalischste unter ihnen.

Hier auf der Waldeck wurde, stark unter Pitters Einfluss, im Studentischen Arbeitskreis der ABW (Arbeitsgemeinschaft Burg Waldeck) die Idee zu den inzwischen legendären Festivals für Chanson und Folklore geboren. Das finanzielle, aber auch das organisatorische Risiko, in Deutschland, aber auch international zu einem solchen Festival einzuladen, war damals immens groß. Unterstützungen gab es nicht und wären auch nicht gewünscht worden. Das Risiko wurde von der ABW und ganz persönlich auch von ihrem Vorsitzenden, dem unvergesslichen Rudi Schmaltz, übernommen.


Pfingsten 1964 fand das erste Festival statt. Noch war die Zahl der Sänger und Zuhörer klein, aber in den darauf folgenden Festivals explodierte sie, bis sie 1968 bei rund 5000 Zuschauern lag und die Sänger aus ganz Europa, besonders aus Spanien, Italien, Belgien, England, Frankreich sowieso, und aus Amerika kamen, ein deutsches „Woodstock“ gewissermaßen, mehrere Jahre, bevor in Amerika das berühmt-berüchtigte Woodstock stattfand.

1964 und 1965 war Peter Rohland als einer der wichtigsten Sänger dabei gewesen und hatte die Landstreicherballaden, die Lieder des Francois Villon und vor allem die jiddischen Lieder vorgetragen. Im Januar danach erkrankte er plötzlich und starb, kaum 33 Jahre alt, am 5. April 1966.
Seine Lieder leben weiter.

Vor allem aber lebt eines weiter: als einer der ersten hatte Pitter gezeigt, dass es auch nach dem Missbrauch des Volksliedes durch die Nazis noch Möglichkeiten des deutschen Liedes gab, und er zeigte, dass Chanson und Folksong auch in Deutschland mehr sein können als das bloße Nachahm en der kommerziellen Chansons, Folksongs und Protestlieder. Er suchte kein schönes Gegenbild zur „modernen Welt“, er sah vielmehr im Lied das Zeugnis menschlichen Leidens und Frohseins. Er löste das Volkslied aus der romantisierenden Ideologie und machte es zum Bestandteil eines progressiven Bewusstseins und zu einem „modernen Lied“, das Armut, Verfolgung und Ungerechtigkeit als Themen nicht ausklammert. Seine Landstreicherballaden stellen geradezu eine neue Gattung des Folksongs dar; mit seinen Interpretationen jiddischer Lieder erschloss er mehr als ihren exotischen Reiz; mit seinen Liedern deutscher Demokraten deckte er eine vergessene Tradition des deutschen politischen Liedes wieder auf (Stephan Rögner 1976).
Damit hat Peter Rohland aber auch den bündischen Gruppen, aus denen er seinen Ursprung hatte, etwas gegeben, das sich gleich gewichtig neben die Anregungen und Liedschöpfungen von Werner Helwig, von tejo, von olka, Roland Eckert und anderen stellt und das auch dem Singen in den Gruppen einen neuen, viel weiteren Horizont gab.


( (C) Copyright Helmut König, Eichhornweg 11, 30900 Wedemark, Oktober 1999 )